Dienstag, 21. April 2015

[Rezension] Liz Coley: "Scherbenmädchen"

Titel: "Scherbenmädchen"
Originaltitel: "Pretty Girl Thirteen"
Autorin: Liz Coley
Verlag: Bastei Lübbe Verlag
Erscheinungsjahr (Deutschland): 2015
Format // Preis: Gebundene Ausgabe: 15,99€ // Kindle-Version: 11,99€
Seiten: 320




Es ist ein ruhiger, beschaulicher Morgen auf einem Jugend-Zeltlager mitten im tiefsten Wald. Die Schülerin Angie ist dreizehn Jahre alt und in wenigen Momenten wird sich ihr Leben auf dramatische Weise für immer verändern: Kurz nachdem sie ihr Zelt verlassen hat, trifft sie plötzlich auf einen fremden Mann. Sie wird von ihm entführt und an einem geheimen Ort gefangen gehalten. Die Suche der Polizei nach dem vermissten Mädchen bleibt ergebnislos. Erst drei Jahre später gelingt Angie die Flucht. Wie aus dem Nichts taucht sie wieder bei ihren Eltern auf - als verwahrlostes, sechzehnjähriges Mädchen mit Narben an den Armen und Fußgelenken. Doch innerlich ist sie immer noch dreizehn, als hätte sie gerade erst das Zeltlager verlassen. Sie ahnt nicht, dass die Wahrheit über die verlorenen drei Jahre tief in ihr vergraben liegt - beschützt von verschiedenen Persönlichkeiten, die verhindern wollen, dass Angie deren Geschichten erfährt und möglicherweise an der grausamen Realität zerbricht.




"Du hattest vergessen, wie früh beim Sommerzeltlager die Sonne aufgeht - und wie laut die Vögel am Morgen singen."




Als ich dieses Buch beim Stöbern entdeckt habe, war mein Interesse sofort geweckt. Abgesehen davon, dass die Geschichte an sich schon sehr außergewöhnlich und spannend zu sein schien, versprachen auch verschiedene Buchblogger ein einzigartiges Lesevergnügen, das einen interessanten Einblick in die  menschliche Psyche vermitteln würde. Ich musste nicht länger überlegen und holte mir kurz darauf die Kindle-Version dieses Romans.

Das Buch hielt, was es versprach. Es zog mich sofort in seinen Bann und ich konnte es eigentlich  kaum aus der Hand legen, weil ich so gespannt darauf war, wie Angie allmählich ihre Vergangenheit aufdecken würde. Drei lange Jahre war sie einem fremden Mann ausgeliefert, doch was genau in dieser Zeit mit ihr geschah, weiß sie nicht. Darüber hüllt sich auch die Autorin in ein geheimnisvolles Schweigen, so dass einige der vielen offenen Fragen auch am Ende unbeantwortet bleiben. Gestört hat mich das aber nicht, weil die Geschichte dadurch realistischer wirkte. Schließlich wird auch heute nicht jedes Verbrechen lückenlos aufgeklärt (außer bei Criminal Minds natürlich ^^).

Liz Coley versteht sich darauf, Handlung spannend zu gestalten und den Leser sofort in den Bann der Geschichte zu ziehen. Sie wirft den Leser quasi mitten ins Geschehen: Man lernt Angie kennen, wie sie verwirrt durch die Straßen wandert und sich schließlich vor ihrem Elternhaus wiederfindet und begleitet sie auf ihrer Therapie und ihrem Weg zurück in das Leben einer Sechzehnjährigen. An dieser Stelle geht Coley einen gewagten Weg, indem sie eine neue Art der Therapie beschreibt, die in dieser Form noch nicht existiert, aber anscheinend schon erforscht wird. Dadurch konnte sie Angies „Heilung“ ein wenig beschleunigen und den Spannungsbogen weiter ausbauen (in der Regel dauern solche Therapien mehrere Jahre an und die einzelnen Sitzungen fallen meistens weniger spektakulär aus). Ich bin über diese Herangehensweise ein wenig zwiegespalten, weil ich es auch nicht schlecht gefunden hätte, wenn die Therapie ein wenig mehr im Mittelpunkt und demnach detaillierter beschrieben worden wäre. In diesem Moment war es doch offensichtlich, dass es sich bei „Scherbenmädchen“ um reine Fiktion handelt, die so nicht stattfinden kann, da Angies Therapie nach heutigen Maßstäben noch sehr futuristisch wirkt. Andererseits war es auch interessant zu erfahren, welche Wege die Wissenschaft in Zukunft vermutlich gehen wird, um traumatisierten Menschen wie Angie zu helfen.

Besonders faszinierend fand ich auch die Erzählperspektive, da sie die Thematik des Buches perfekt aufgreift und umsetzt. Angies Seele ist seit ihrer Entführung in viele Einzelstücke zerbrochen und so wird die Handlung zunächst auch beschrieben - zwar aus ihrer eigenen Sicht, jedoch in der „Du-Form“, die ihre Zersplitterung in zusätzliche Persönlichkeiten verdeutlicht. Im späteren Verlauf der Handlung findet sie jedoch immer mehr Zugang zu sich selbst und kann sich dem Leser fortan auch aus ihrer neu gewonnen „Ich-Perspektive“ immer mehr öffnen. Diese formale Besonderheit hat mir sehr gut gefallen, da ich bisher noch nichts Vergleichbares gelesen habe, wo dieser Kniff so gut gepasst hat wie hier.

Auch die Geschichte selbst hält viele Überraschungen bereit und es bleibt bis zum Schluss spannend, wie Angie mit ihren „seelischen Mitbewohnern“ verfahren will. Immer weiter dringt sie in ihre Vergangenheit vor, fest entschlossen, die Wahrheit ihrer Entführung zu enthüllen und wieder die Kontrolle über ihren Körper zu übernehmen. Denn ihre neuen „Teilpersönlichkeiten“ haben im Laufe der Zeit ein ungewöhnliches Eigenloben entwickelt und denken gar nicht daran, Angie fortan in Ruhe zu lassen - Alles natürlich stets mit dem Ziel, Angie vor der Wahrheit zu beschützen. Denn auch nach Angies Flucht vor ihrem Peiniger begleiten ihre Teilpersönlichkeiten sie jeden Tag und versuchen, ihre eigenen Wünsche und Träume durch Angie zu verwirklichen.




Wie die Geschichte schon vermuten lässt, ist Angie zweifellos ein schwieriger Charakter, da sie sich aufgrund ihrer inneren Zersplitterung nicht einfach charakterisieren lässt. Immer wieder übernehmen ihre Teilpersönlichkeiten die Kontrolle über ihren Körper und lassen den Leser dann im Unklaren darüber, was in diesen Momenten mit Angie passiert. Deswegen kann ich mich im Folgenden nur auf jenes Mädchen beschränken, welches die „Hauptpersönlichkeit“ darstellt, da ich euch nicht zu viel von der Handlung vorwegnehmen möchte. Das hat mich auch schon am Klappentext etwas gestört, der schon einige ihrer Persönlichkeiten verraten hat, weswegen ich diese Details in meiner Inhaltsbeschreibung weggelassen habe.
Worauf ich hinauswill: Obwohl ich mich gut in Angie hineinversetzen konnte, bin ich nicht richtig mit ihr warm geworden. Am Anfang erschien sie mir wirklich noch wie eine typische Dreizehnjährige, dann verhielt sie sich zusehends wie ein Teenager und schließlich wandelte sie sich zu einer sehr abgeklärten jungen Frau. Diese Entwicklung fand ich zwar nachvollziehbar, doch sie ging mir am Ende ein wenig zu weit. Generell mag ich starke Heldinnen, aber Angies Charakter passte eher zu einer Zwanzigjährigen, aber nicht zu einem Mädchen von sechzehn Jahren.




"Scherbenmädchen" ist ein schöner, spannender und vor allem auf formaler Ebene einzigartiger Thriller, der einen interessanten Einblick in die menschliche Psyche vermittelt. Man sollte jedoch kein Fachbuch über diese Thematik erwarten. Wie schon gesagt, handelt es sich in erster Linie um einen Thriller, der zudem an Jugendliche gerichtet ist (in meiner Buchhandlung steht er zumindest in der Jugendbuchabteilung) und dem deswegen stellenweise die Tiefe fehlt, um Angies dissoziative Identitätsstörung verständlicher zu machen. Denn die Thematik gibt es durchaus her, noch weiter in die Tiefe zu gehen und die vielen, interessanten Details sowie Angies Auseinandersetzung mit ihren Persönlichkeiten ein wenig genauer zu beleuchten.
Deswegen gebe ich diesem Buch vier von fünf Sternen.


★ ★ ★ ★ ☆



Montag, 6. April 2015

[Rezension] Rainbow Rowell: "Eleanor & Park"

Titel: "Eleanor & Park"
Autor: Rainbow Rowell
Verlag: Carl Hanser Verlag
Erscheinungsjahr (Deutschland): 2015
Format // Preis: Gebundene Ausgabe: 16,90€ // Kindle-Version:  12,99€
Seiten: 368




Im Schulbus treffen sie sich das erste Mal: Die pummelige Eleanor mit der auffälligen Lockenmähne und der gut aussehende, ruhige Park, der dem neuen Mädchen zunächst nur widerwillig den freien Platz neben sich überlässt. Beide ahnen zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass dies der Anfang von etwas ist, das sie selbst nicht genau in Worte fassen können. Denn als Eleanor beginnt, Parks Comics mitzulesen, macht er sich mehr Gedanken über dieses sonderbare Mädchen, das immer so gedankenverloren und traurig wirkt. Und Eleanor wiederum stellt fest, dass der „blöde kleine Asiate“ nicht nur ihre Art von Humor teilt, sondern dass sie ihm auch stundenlang zuhören kann. So entwickeln sie immer stärkere Gefühle füreinander, die sich so neu und gleichzeitig so gut anfühlen, dass sie nie wieder voneinander getrennt sein wollen.




"Er versuchte nicht mehr, sie zurückzuholen."




„Eleanor & Park“ gehört zweifellos zu jenen Romanen, die ihre Leser polarisieren. Schon kurz nach der Veröffentlichung äußerten sich neben den zahlreichen positiven Rezensionen von begeisterten Leser(inne)n auch einige Kritiker, die diese Meinung nicht teilen konnten und die Geschichte eher kritisch bewerteten. Und natürlich leisteten auch die Medien ihren Beitrag, die Bekanntheit dieses Romans zu steigern. So wurde auch ich schließlich auf ihn aufmerksam. Nachdem ich mir schon im Voraus einige der vielen verschiedenen Rezensionen durchgelesen hatte, war ich sehr gespannt darauf, welchen Eindruck die Geschichte wohl bei mir hinterlassen würde.

Inzwischen kann ich jedoch die meisten Bewertungen zu diesem Roman nachvollziehen, egal ob diese nun positiv oder negativ ausgefallen sind. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass es in diesem Fall nicht (nur) die Geschichte von Eleanor und Park, sondern auch die Erwartungen und Ansprüche des Lesers sind, die letztlich entscheiden, ob einem der Roman gefällt oder nicht. Und ganz ehrlich: Ich finde, dass der ganze Rummel und Hype in den Medien diesem Buch mehr geschadet als gut getan hat. Man geht zum Teil mit ziemlich überzogenen Erwartungen an die Geschichte heran, die dann irgendwie den eigenen Erwartungen gerecht werden muss. Ich für meinen Teil habe eine romantische, realistische und richtig gute Story mit einzigartigen Charakteren erwartet, die mich mindestens genauso berühren würden wie „Tausend strahlende Sonnen“ (nur als persönliches Beispiel). Im Nachhinein befürchte ich allerdings, mir damit selbst einen angemessenen Zugang zu der Geschichte verwehrt habe. Oder, anders gesagt: Ich bin mir fast sicher, dass mir der Roman besser gefallen hätte, wenn er nicht derart von den Medien aufgebauscht worden wäre.
Deswegen empfehle ich jedem, der dieses Buch lesen möchte, sich nicht von der allgemeinen Meinung blenden zu lassen und einfach die Liebesgeschichte zwischen Eleanor und Park zu genießen. Dann habt ihr das Lesevergnügen eher auf eurer Seite.

Denn eigentlich, auch wenn ich jetzt vielleicht einen anderen Eindruck erweckt habe, ist die Geschichte sehr schön. Ich habe sie innerhalb weniger Tage verschlungen und das liegt nicht daran, dass ich eine exzessive Dauerleserin bin, sondern dass sich „Eleanor & Park“ einfach nicht nicht schnell lesen lässt. Der Schreibstil von Rainbow Rowell ist so angenehm und klar, dass man quasi von einem Kapitel vom nächsten „springt“. Anstatt sich lange mit blumigen Beschreibungen aufzuhalten, gewährt die Autorin dem Leser in kurzen Kapiteln abwechselnd einen Einblick in Eleanors und Parks Gefühlswelt. Dennoch behält sie die personale Erzählperspektive bei und es wird nie mehr verraten, als der Leser wissen muss, um der Geschichte zu folgen. Gerade Eleanors Vergangenheit und ihre zerrütteten familiären Verhältnisse fand ich zwar sehr interessant, musste mich jedoch damit zufriedengeben, nur einen kleinen Abriss aus ihrer Welt erfahren zu dürfen. Auch gibt es neben der Haupthandlung keine Nebenstränge, alles konzentriert sich auf die beiden Hauptprotagonisten, die im Gegensatz zu den anderen, eher hölzernen Charakteren dem Leser unglaublich schnell ans Herz wachsen.

Wie es schon aus der Inhaltsbeschreibung hervorgeht, handelt der Roman „Eleanor & Park“ von der ersten großen Liebe - klar, rein unschuldig und auch auch wenig unsicher. Die Autorin zieht einen Spagat zwischen dem manchmal erdrückenden Alltag bzw. der sozialen Umgebung, die sich negativ auf die Gefühle der beiden Hauptfiguren auswirken können (so zum Beispiel durch das Mobbing an der Schule, dem Eleanor zum Opfer fällt oder Parks Familie, die im krassen Gegensatz zu Eleanors Elternhaus steht) und einigen märchenhaften Beschreibungen, die das klassische Prinz-Prinzessin-Modell liebevoll ironisieren. Eleanor und Park sind sich durchaus bewusst, dass ihre Geschichte kein Märchen ist, doch sie erkennen allmählich, dass es sich zu einem modernen Märchen entwickeln könnte, in dem beide (und auch ich als Leser) auf ein Happy End hoffen. Leider muss ich an dieser Stelle sagen, dass ich vom Ende der Geschichte mehr als enttäuscht war. Als ich auf der letzten Seite angekommen war, dachte ich nur: „Wie - das war’s jetzt?“




Nachdem ich die zögerliche Entwicklung der Gefühle zwischen Eleanor und Park so begeistert verfolgt hatte, war das Ende demgegenüber eine einzige Enttäuschung. Bis dahin war alles für mich noch halbwegs verständlich und nachvollziehbar gewesen - vor allem in Park konnte ich mich sehr gut hineinversetzen - doch als das Ende näher rückte, entfremdete sich Eleanor immer mehr von mir. Anfangs ließ sich das noch mit ihren schwierigem familiären Verhältnissen rechtfertigen, doch wie die Autorin Eleanor am Ende auftreten ließ, war einfach nur komplett an den Haaren herbeigezogen. Ich hatte das Gefühl, eine vollkommen andere Person vor mir zu haben. Das war nicht die Eleanor, die ich Park als Freundin und vielleicht sogar als Prinzessin wünschte, sondern sie hatte sich plötzlich zu einem Mädchen entwickelt, für welches ich mich unglaublich schämte. Park tat mir sogar leid, dass er sich ausgerechnet in sie verliebt hatte. Eine derartig abstruse Entwicklung konnte ich wirklich nicht nachvollziehen, denn sie warf alles über den Haufen, was ich bisher an Eleanor kennen gelernt und gemocht hatte.
Meiner Meinung nach hat sich die Autorin leider mit diesem Ende (das ist euch natürlich dennoch nicht verraten werde) alles verbaut, was sie bis dahin so anschaulich und gefühlvoll dargestellt hat. Grundsätzlich habe ich nichts gegen einen Schluss einzuwenden, der überraschend anders ausfällt, sofern er zur eigentlichen Geschichte passt. Vermutlich war das auch das Ziel der Autorin - einen besonderen und ungewöhnlichen Abschluss zu finden, der sich von den typischen Liebesgeschichten abhebt. Doch dann sollte sie auch eine Liebesgeschichte beschreiben, mit der dieser Schluss vertretbar ist. Dies war bei „Eleanor & Park“ leider nicht der Fall.




Lässt man den ganzen Hype um diesen Roman einmal außer Acht, ist „Eleanor & Park“ eigentlich eine sehr schöne und einfühlsame Liebesgeschichte, die sich zudem angenehm und schnell lesen lässt. Man sympathisiert von Anfang an mit den beiden Hauptfiguren und ist gespannt darauf, wie sich ihre Gefühle füreinander nach und nach entwickeln.
Demgegenüber steht jedoch ein zweifelhaftes Ende, das dem Charakter der Geschichte komplett widerspricht und mit dem die Autorin bei mir leider überhaupt nicht punkten konnte.
Deswegen gebe ich diesem Roman drei von fünf Sternen.

★ ★ ★ ☆ ☆