Sonntag, 28. Juni 2015

[Rezension] Isaac Marion: "Warm Bodies" (dt. Titel: "Mein fahler Freund")

Titel: "Warm bodies" (englischer Originaltitel)
Deutscher Titel: "Mein fahler Freund"
Autor: Isaac Marion
Verlag: Hobbit Presse / Klett-Cotta
Erscheinungsjahr: 2010 (auf englisch)
Format // Preis: 9,95€ (Gebundene Ausgabe)
Seiten: 298




Die Menschheitsgeschichte hat eines ihrer dunkelsten Kapitel erreicht: Ein geheimnisvolles Virus hat einen Großteil der Erdbevölkerung grausam dahingerafft und zwingt die wenigen Überlebenden, sich hinter riesigen Mauern zu verbarrikadieren und auf den Trümmern ihrer Geschichte ein neues Leben aufzubauen. Ihre schlimmsten Feinde sind die neuen Wesen, mit denen sie sich fortan ihre Welt teilen müssen: Die Zombies. Unersättlich streifen sie umher, immer auf der Suche nach  frischer Beute. 
R ist einer von ihnen. Er erinnert sich nicht an sein früheres Leben, sogar seinen Namen hat er vergessen. Vielleicht hat er mit einem R angefangen haben, aber genau weiß er es nicht. Er verbringt die Zeit zusammen mit einer großen Gruppe anderer Zombies auf einem Flughafen, wo er meistens herumsteht und stöhnt. Doch sein eintöniges Dasein ändert sich, als er eines Tages Julie kennen lernt und sich unsterblich in sie verliebt - ein lebendes, menschliches Wesen.




"Ich bin tot, aber es ist nicht schlimm. Ich habe gelernt, damit zu leben."




(Zur besseren Übersicht fasse ich meine Meinung und meine Erlebnisse mit diesem Buch in diesem Abschnitt zusammen)

Ich habe mir diesen Roman gekauft, weil ich ein großer Fan von The Walking Dead bin. Das klingt ziemlich banal und fantasielos, aber es entspricht der Wahrheit. Vorher hat mich die ganze Zombie-Thematik nur peripher interessiert, aber nachdem ich die ersten Folgen in einer Nachtaktion verschlungen habe, fand ich Zombies plötzlich wieder super. Unter anderen Umständen wäre mir "Warm bodies" vermutlich gar nicht aufgefallen, denn eines lässt sich leider nicht leugnen: Sowohl das aktuelle Cover als auch der deutsche Titel dieses Buch ist einfach mal ausnahmslos schlecht.

Erstens: "Mein fahler Freund" hört sich nicht nach einem spannenden Titel an, sondern klingt wie ein unglaublich abgedroschener Zombie-Verschnitt, der das aktuell bestehende Interesse der Leser für diese Thematik abdecken und gleichzeitig eine Brücke zu Twilight schlagen will (was durch die Tatsache, dass man auch ein Zitat von Stephenie Meyer auf das Cover gesetzt hat, noch verstärkt wird).
Zweitens: Das Coverbild, auf dem die beiden Hauptpersonen der Geschichte abgebildet sind, finde ich persönlich nicht schön. Es orientiert sich zwar an den Beschreibungen im Buch, aber das war's auch schon. Positive Punkte fallen mir zu dieser lieblos wirkenden Zeichnung nicht ein. Von einem Schmuckstück im Regal ist der Roman deshalb leider meilenweit entfernt.
Damit sind nun schon alle negativen Aspekte genannt, deswegen komme ich nun zum angenehmen Teil dieser Rezension, nämlich den Merkmalen des Romans, die ich schön fand :-)

"Schön" ist ein gutes Stichwort, denn ganz im Gegensatz zur äußeren Aufmachung, erwartete mich nach dem Entfernen der Schutzfolie im Inneren eine überraschend schöne Gestaltung: Die erste und letzte Einbandseite sind passend blutrot gefärbt und jedes Kapitel wird mit einer anatomischen Zeichnung eingeführt, die unterschiedliche Ausschnitte des Gehirns, diverser Organe oder der menschlichen Extremitäten zeigt. Diese wiederum passen sehr gut zur Entwicklung der Geschichte und sind ferner eine nette Spielerei.


Das änderte jedoch nichts daran, dass ich vor dem Lesen noch Zweifel hatte, ob mir die Umsetzung der Idee einer Zombie-Liebesgeschichte wirklich gefallen würde. Isaac Marion hat sich auf jeden Fall auf ein sehr, sehr schwieriges Terrain begeben, denn wie beschreibt man das Gefühlsleben und die Gedankengänge eines Wesens, das nach allgemeiner Auffassung gar nicht mehr richtig "lebt", sondern nur noch dahinvegetiert? Wie sollte ich als Leser die Gefühle eines Untoten, der vermutlich nur an Gehirne denken kann, ernst nehmen?

Tja, was macht der Autor also, um mich als Leser zu fesseln? Er greift meine (ziemlich einseitigen) Erwartungen auf, wirft sie einfach über Bord und präsentiert mir R - und schon nach den ersten Seiten war ich diesem Zombie komplett verfallen.
R entspricht einerseits genau dem Bild, was ich mir von einem Zombie gemacht habe: Er wirkt ziellos in dieser düsteren Welt, streift einfach nur umher und verständigt sich hautsächlich über Stöhnen. Für ihn hat Zeit keine Bedeutung mehr, sie hat keine linearen Dimensionen und fließt einfach dahin. Er hat alles vergessen, was er vorher war und scheint zunächst nur wie ein weiteres, leeres Zombiegesicht unter all den anderen zu sein, die grausam Jagd auf Menschen machen.
Doch andererseits ist R eben nicht der typische Zombie, für den ihn alle halten, denn er besitzt immer noch eine Art von Bewusstsein (wenn auch ein eingeschränktes) und denkt über vieles nach. Und diese Gedanken sind klar und unglaublich tiefgreifend. Zwar schreitet auch die Beziehung zwischen R und Julie zusehends voran, doch die eigentliche Botschaft des Romans findet sich in erster Linie in den Dingen, die R nicht aussprechen kann, sondern die seine Gedankengänge dominieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich das nach dem Lesen sagen würde, aber "Warm bodies" ist alles andere als ein Zombie-Twilight-Abklatsch, sondern er ist vielmehr ein philosophischer Roman. Er verbindet geistreiche Inhalte in einer einfachen Sprache, anstatt einen Zombie nur sinnlos rumbrabbeln zu lassen. Auch R's persönliche Entwicklung und die fast schon schüchterne Annäherung an Julie war so gefühlvoll beschrieben, dass ich richtig mitgefiebert habe. Ich bevorzuge bei einer Liebesgeschichte eigentlich die Ich-Perspektive der Frau, aber hier passt es sehr gut, dass R der Ich-Erzähler ist.

Isaac Marion ist einer der besonders schmucken Autoren *_*
Nur noch ein paar wenige Sätze zum gleichnamigen Film, der dem Buch zugrunde liegt: Ich kann ihn nicht abschließend beurteilen, weil ich nur etwa zehn Minuten gesehen. habe, bevor es mir zu dumm wurde. Denn der R, den wir dort kennen lernen, ist ein ganz anderer R als jener im Roman. Hier finden wir eher einen sinnlos plappernden Zombie, dessen Gedankengänge einfach nur leer und nichtssagend sind. Aber vielleicht soll der Film ja eine andere Zielgruppe absprechen, die mehr Handlung und Gefühle zwischen R und Julie sehen will. Es muss ja nicht jeder den gleichen Geschmack haben.




Ich denke, der Roman hat den Anspruch, anders zu sein als das, was man von ihm erwartet. Das schließt auch die Handlung mit ein, denn sie ist zwar verständlich und nachvollziehbar, kommt manchmal aber auch zum Stillstand und lässt am Ende viele Fragen offen. Das Ende selbst hat mich ein wenig irritiert, aber letztlich konnte ich damit leben, weil der ganze Charakter des Romans vermutlich kein anderes Ende zugelassen hätte. Man sollte die Geschichte also nicht wie eine fortlaufende Erzählung lesen, sondern sich darauf einlassen, dass weniger das Resultat, sondern vielmehr der Weg dorthin entscheidend ist. Dies wird auch an den vielen Symbolen und Anspielungen deutlich (so zum Beispiel in der Namensgebung von R und Julie - na, welches Liebespaar soll hier wohl angedeutet werden?)

Für mich war es auf jeden Fall ein faszinierendes Leseerlebnis, das mir einen neuen männlichen Lieblingscharakter gegeben hat :-) Und gerade wegen meiner Vorliebe für nachdenkliche Bücher, die mir nach dem Lesen noch etwas mit auf dem Weg geben, bekommt der Roman von mir fünf von fünf Sternen.

★ ★ ★ ★ ★



Montag, 22. Juni 2015

[Neuzugänge] Juni

Hallo zusammen,

entgegen meines (mehr oder weniger) strengen Vorsatzes, mir diesen Monat keine neuen Bücher zu holen, durften letztlich doch drei Neuzugänge bei mir einziehen. Dafür ist es jedoch bei einer überschaubaren Anzahl von drei Büchern geblieben und ein Roman stand sogar auch auf meiner Wunschliste - wenn auch erst seit kurzem.

Hier jetzt ein kurzer Überblick:



  • Jane Austen: "Stolz und Vorurteil"
  • James Matthew Barrie: "Peter Pan"
  • S. K. Tremayne: "Eisige Schwestern"


"Stolz und Vorurteil" steht noch gar nicht so lange auf meiner Wunschliste, aber da ich bisher noch kein einziges Buch von Jane Austen gelesen habe und mich schöne Klassiker generell sehr interessieren, habe ich spontan beschlossen, mich an eines ihrer bekanntesten Werke heranzuwagen. Ich hatte im Voraus schon mit einer Leseprobe begonnen und die hat mir so gut gefallen, dass ich nun natürlich wissen möchte, wie es weitergeht (nicht nur in Bezug auf die Handlung, sondern auch bezüglich der literarischen Umsetzung).



Mein zweiter Neuzugang "Peter Pan" war mehr oder weniger ein spontaner Kauf, da das Buch in der Buchhandlung im selben Regal wie "Stolz und Vorurteil" vertreten war. Mir spukte zwar zu dem Zeitpunkt schon die Idee im Kopf herum, mir diesen Kinderbuch-Klassiker ebenfalls einmal genauer anzuschauen, doch erst als ich das Buch auch zufällig in der Buchhandlung entdeckte, nahm diese Idee eine genauere Form an und wurde kurzerhand mein zweiter Neuzugang.



Den Abschluss bildet schließlich der Roman "Eisige Schwestern",  damit auch mein Kindle diesen Monat auf seine Kosten kommt. Ich lese zwar gerade schon einen Krimi (und eigentlich bin ich an diesem Genre immer schnell übersättigt), aber dieser klang auch sehr vielversprechend und bereichert nun mein virtuelles Bücherregal.



Wie ihr seht, habe ich mich diesen Monat sehr zurückgehalten und nächsten Monat sollen es eigentlich auch nicht allzu viele Bücher werden (abgesehen von dem neuen Buch von Scarlett Thomas), aber mal schauen, ob ich weiterhin so standhaft bleiben kann wie diesen Monat (Ironie Ende).

Ich wünsche euch noch eine schöne Woche!

Donnerstag, 18. Juni 2015

[Rezension] Hilal Sezgin: "Artgerecht ist nur die Freiheit"

Hallo liebe Leseratten,

ich habe beschlossen, dass ich mal ein bisschen Abwechslung in mein Blog bringen möchte. Deswegen stelle ich euch heute nicht nur eines meiner Lieblingsbücher aus dem Regal vor, sondern ihr habt auch die Chance, dieses zu gewinnen! Es handelt sich diesmal um ein Sachbuch, dass ich beim Stöbern entdeckt, nach dem Kauf innerhalb weniger Tage verschlungen habe und dessen eindringliche Botschaft mich seitdem nicht mehr losgelassen hat.
Aber lest einfach selbst ...

Titel: "Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen"
Autorin: Hilal Sezgin
Verlag: C.H. Beck Verlag
Erscheinungsjahr: 2014
Format // Preis: Taschenbuch (16,99€) // Kindle-Edition (13,99€)
Seiten: 301



Tierquälerei ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Doch wenn wir uns einmal die Zeit nehmen und mit klarem Blick die Augen öffnen für all das Leid, das Tiere in unserem direkten und indirekten Umfeld tagtäglich ertragen müssen, ist dies schwer erträglich - so schwer, dass wir es verdrängen, uns weigern, darüber nachzudenken und es nicht mehr hinterfragen. Wir lassen es stillschweigend zu, dass unzählige Tiere in Versuchslaboren gequält und in Mastställen und Schlachthöfen angeblich "artgerecht" misshandelt werden, weil wir uns ein Leben ohne "tierische Produkte" nicht vorstellen können.
Zweifellos gibt es bereits viele Bücher zu diesem Thema, doch die Autorin Hilal Sezgin legt mit ihrem Buch "Artgerecht ist nur die Freiheit" einen Meilenstein in Bezug auf unseren Umgang und unser Zusammenleben mit Tieren vor: Sie stellt verschiedene (tier-) ethische Positionen einander gegenüber, wägt Lösungsmöglichkeiten ab und reagiert auf eine Vielzahl an Argumenten, die ihr immer wieder begegnen und die das Quälen, Töten, Einsperren und Essen von Tieren angeblich rechtfertigen sollen. Auf dieser Grundlage entwirft sie eine faszinierende und engagierte Tierethik, deren Ziel es ist, Tiere als Individuen mit eigenen Rechten zu betrachten und unsere Erde gerecht mit ihnen zu teilen.




Hilal Sezgins (Sach-) Buch ist ein Buch ganz nach meinem Geschmack, und das aus mehreren Gründen. Es fängt schon bei der Gestaltung an, die nicht nur schön und ansprechend, sondern auch sehr persönlich ist, denn es sind die Tiere der Autorin selbst dort abgebildet, die seit einiger Zeit auf dem Land lebt und dort einen kleinen Bauernhof betreibt. Im Klappentext stellt sie auch einige ihrer Schützlinge vor und man merkt sofort, mit wie viel Liebe und Hingabe die Autorin ihrer neugewonnen Tätigkeit als Hofbesitzerin nachgeht. Dadurch vermittelte sie mir einen interessanten ersten Eindruck von ihr und ihren Ambitionen.

Ein weiterer Pluspunkt ist die logische und nachvollziehbare Gliederung des Buches. Sezgin beginnt zunächst mit einer kleinen Einleitung, in der sie ihre Ziele für den Leser deutlich macht. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, die Gedanken und Ideen einer ruhigen, intelligenten und sehr charismatischen Frau zu lesen, die genau zu wissen schien, unter welchen Voraussetzungen ich ihr Buch lesen möchte. Ich kann an dieser Stelle noch ergänzen, dass Hilal Sezgin dieser Charakterisierung auch entspricht: Letztes Jahr habe ich sie auf der Buchmesse kurz getroffen, um mir mein Buch von ihr signieren zu lassen und sie war sogar noch viel netter, als ich gedacht hatte.


Kommen wir aber zurück zum Buch: Nach der Einleitung folgen mehrere Kapitel, in denen die Autorin all die Fragen aufwirft, die einem bei dieser Thematik im Kopf herumschwirren:
Was bedeutet eigentlich "Ethik" im "tierischen" Kontext? Und dürfen wir wirklich Tiere quälen, töten und nutzen?
Die einzelnen Kapitel gliedern sich nochmals in Unterkapitel, wo die Autorin in logischen Einzelschritten und unter Bezug auf aktuelle Studien und Forschungsergebnisse diese Fragen beantwortet. Mir hat ihr Schreibstil richtig gut gefallen, ihre Ausführungen sind nachvollziehbar und sie nutzt viele gute Vergleiche, um die Situation der Tiere verständlich zu machen. Außerdem wendet sie selbst viele Argumente an, die ihr bisher dazu begegnet sind nimmt dadurch jeglichen Zweiflern den Wind aus den Segeln.
Den Abschluss bildet schließlich das fünfte Kapitel, in dem Sezgin die Frage stellt, wie wir denn eigentlich mit Tieren leben können.  Dies ist einer der interessantesten Punkte ihres Werkes und zeigt, dass die Autorin auch gute Vorschläge und Anweisungen gibt für ein besseres Zusammenleben mit Tieren gibt. Sie bleibt die ganze Zeit sachlich, aber dennoch eindeutig und kompromisslos. So führt sie beispielsweise an, dass die Umstellung auf eine vegetarische Lebensweise ein guter Anfang ist, der jedoch auch mit einer veganen Lebensweise verbunden ist. Denn ob eine Kuh nun getötet wird, um das nötige Fleisch zu gewinnen oder ob sie jahrelang unter erbärmlichsten Bedingungen gehalten, von ihren Kälbern getrennt und zur Dauermilchproduktion gezwungen wird, macht letztlich keinen großen Unterschied.




"Artgerecht ist nur die Freiheit" habe ich vor einiger Zeit zufällig beim Stöbern in der Buchhandlung entdeckt. Ich weiß noch, dass ich eigentlich gar nicht nach so einem Buch suchte, sondern eher nach einer seichten Unterhaltungslektüre - einem Krimi oder Thriller vielleicht - aber letztlich war es genau dieses Buch, das meine Aufmerksamkeit und mein Interesse weckte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie von Hilal Sezgin gehört, ganz zu schweigen davon, dass ich nicht wusste, welche Art von Büchern sie überhaupt schrieb. Aber als ich dieses Buch sah, den Klappentext las und die ersten Seiten überflog, fühlte ich mich direkt angesprochen und wusste, dass ich es einfach lesen musste.


Eines muss ich noch zugeben: Ich habe ein sehr indifferentes Verhältnis zu Sachbüchern jeglicher Art. Soll heißen, ich lese sie zwar unglaublich gerne, aber ich brauche dafür meine Zeit. Es kommt nicht selten vor, dass ich ein Sachbuch begeistert anfange, dann ein halbes Jahr liegen lasse und nur hin und wieder weiterlese. Mir fehlt oft einfach die Konzentration oder die Zeit, mich darauf einzulassen.
Dieses Buch bildet hier jedoch eine für mich sehr ungewöhnliche Ausnahme. Ich habe direkt nach dem Kauf mit dem Lesen begonnen und schon war es passiert: Ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Ich nahm mir zwar Zeit für dieses Buch, las es aber dennoch sehr schnell, markierte im Text, machte mir Randnotizen und dachte auch nach dem Lesen darüber nach, was ich gerade erfahren hatte. Und als ich es schließlich beendet hatte, wusste ich, dass ich auch die Botschaft dieses Buch für mich selbst angenommen und akzeptiert hatte: Ich wollte nicht länger zu jenen Menschen gehören, die ihre Augen verschließen, während Tiere getötet, gequält und unter erbärmlichsten Bedingungen gehalten werden. Doch zum ersten Mal hatte ich wirklich das Gefühl, dies deswegen zu tun, weil ich selbst von der Richtigkeit der Sache überzeugt war. Das halte ich persönlich für einen wesentlichen Unterschied, wenn man langfristig etwas verändern möchte: Man sollte es nicht tun, weil man von anderen dafür angeprangert wird, sondern weil man selbst weiß, dass es einfach grundlegend falsch ist und gegen jegliches ethisches Verständnis verstößt, Tiere derart zu misshandeln. Nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünsche ich, dass er so etwas auch nur einen Tag lang ertragen muss. Und dennoch nehmen wir es hin, dass unzählige Tiere jeden Tag furchtbar gequält werden - die Lebewesen auf diesem Planeten, die wir manchmal mehr lieben als unsere  eigenen Mitmenschen.
Ich kann nicht alle Gründe aufzählen, die auch mich letztlich dazu bewogen haben, einige meiner Gewohnheiten radikal zu ändern, denn diese Mammutaufgabe hat Hilal Sezgin bereits meisterhaft übernommen. Meine Rezension stellt also nur einen minimalen Abriss dessen dar, was dieses Buch vermittelt. Und wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen und einen Blick über den Tellerrand zu werfen (und zwar im wahrsten Sinne des Wortes), dann kommt man an diesem Buch gar nicht vorbei.

Übrigens: Nicht ohne Grund hat auch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Sezgins Buch inzwischen in ihren Katalog aufgenommen. 




Hilal Sezgin hat mit "Artgerecht ist nur die Freiheit" ein einzigartiges, motivierendes, mutiges und noch immer aktuelles Buch vorgelegt, das den Leser genau da abholt, wo er momentan steht: Innerlich hin- und hergerissen zwischen seinen ethischen Grundsätzen und all den sinnlosen  Grausamkeiten an unschuldigen Tieren, die diesem Weltbild eigentlich komplett widersprechen. Die Autorin macht keine anklagenden Vorwürfe, sondern sie geht offen auf den Leser zu, macht ihm jedoch auch eindringlich deutlich, dass ein Umdenken hinsichtlich einer Tierethik keine frei wählbare Option, sondern unsere Pflicht ist, die wir schon viel zu lange vernachlässigt haben.
Tiere selbst können keine Verantwortung für sich übernehmen, sie können sich nicht schützen - diese Aufgabe fällt allein uns Menschen zu.

Ich gebe diesem Buch ohne Einschränkungen fünf Sterne.

★ ★ ★ ★ ★



Hilal Sezgin, geboren 1970, studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre lang in der Feuilletonredaktion der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide, wo sie einen kleinen Gnadenhof mit Schafen und Hühnern betreut. Sie schreibt u.a. für Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung sowie als Kolumnistin für die Meinungsseite der taz, das Feuilleton der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung. Ihre publizistischen Themen sind hauptsächlich Tierethik und Tierrechte, Feminismus, Philosophie und Islam, Islamfeindlichkeit und Multikulti.
(Quelle: Klappentext des Buches)

Samstag, 6. Juni 2015

[Rezension] Emily Lockhart: "We were Liars"

Titel: "We were liars" (englisch)
Autorin: Emily Lockhart
Verlag: Delacorte Press
Erscheinungsjahr: 2014
Format // Preis: 17,47€ (gebundene Ausgabe) // 10,49€ (Taschenbuch) // 3,99€ (Kindle-Edition)
Seiten: 227



Anmerkung: Eigentlich schreibe ich die Inhaltsangaben meiner rezensierten Bücher immer selber, weil ich die meisten Klappentexte nicht besonders gelungen finde. "We were liars" bildet dabei jedoch eine Ausnahme, deswegen überlasse ich es an dieser Stelle ausnahmsweise Cadence Sinclair, der Hauptprotagonistin dieses Romans, sich selbst und ihre Geschichte vorzustellen:

Welcome to the beautiful Sinclair family.
No one is a criminal.
No one is an addict.
No one is a failure.
[...]
The are the Sinclairs.
No one is needy.
No one is wrong.
We live, at least in the summertime, on a private island off the coast of Massachusetts.
Perhaps that is all you need to know.
(S. 3)

Frei übersetzt:
Willkommen bei der wunderbaren Familie Sinclair.
Niemand ist ein Krimineller.
Niemand ist ein Süchtiger.
Niemand ist ein Versager.
[...]
Wir sind die Sinclairs.
Niemand ist bedürftig.
Niemand ist falsch.
Wir leben, zumindest im Sommer, auf einer privaten Insel vor der Küste von Massachusetts.
Vielleicht ist das alles, was du wissen musst.




"We were liars" gehört zu den wenigen Romanen, die ich unbedingt lesen wollte, bevor ich wusste, worum es eigentlich geht. Nein, mehr noch: Ich wollte gar nicht wissen, auf welches Buch im mich da einlasse, sondern endlich einmal wieder vollkommen unvoreingenommen ein Buch kennen lernen, wo ich nicht während der erste fünfzig bis hundert Seiten (oder womöglich sogar während des gesamten Romans) genau weiß, was mich erwarten wird. Deswegen traf dieser Roman genau meinen Geschmack und darum stimme ich Cadence in jeder Hinsicht zu: Was ihr auf der ersten Seite oder in Kurzform auf dem Klappentext über dieses Buch erfahrt, ist möglicherweise alles, was ihr wissen müsst, um mit der Lektüre dieses einzigartigen Buches zu beginnen.

Damit wäre ich auch schon bei meinem ersten Punkt. Dieses Buch ist auf jeden Fall einzigartig und das in vielerlei Hinsicht. Zum einen natürlich dadurch, dass es ein englisches Buch ist, das bisher (Stand: Juni 2015) noch nicht auf Deutsch erschienen ist. Doch gerade das macht den besonders schönen und faszinierenden Charakter dieses Buches aus. Ich bereue es nicht, dass ich es in der Originalsprache gelesen habe, denn obwohl es seit langem mein erstes englischsprachiges Buch war, hat mich die erzählerische Ausgestaltung vom ersten Moment an in ihren Bann gezogen. Der Schreibstil ist einfach, klar und manchmal fast schon aufgesetzt kunstvoll, beschreibt aber genau jene Atmosphäre, die sich auf der geheimnisvollen Insel der Familie Sinclair abspielt. Es handelt sich nicht um einen typischen  Sommerroman, sondern die Geschichte ist durchsetzt von schwerwiegenden Grauzonen, die Lockhart in ihrer Art des Schreibens sehr gut vermittelt.

Zum anderen kommt noch hinzu, dass mir auch die künstlerische Gestaltung richtig gut gefallen hat, weil sie so passend gewählt war. Am Anfang des Buches lernt der Leser nicht nur die familieneigene Insel auf einer schön gezeichneten Karte, sondern ferner auch den Familienstammbaum der Sinclairs kennen. Beides vermittelte nicht nur einen schönen ersten Eindruck, sondern war auch während des Lesens eine gute Hilfe, um sich die Geschichte besser vorzustellen und die auftretenden Personen miteinander verknüpfen zu können (gerade ich mit meinem guten Namengedächtnis, hust).


Kommen wir nun aber zur eigentlichen Geschichte, erzählt aus der Ich-Perspektive von Cadence Sinclair Eastman. Ich möchte euch natürlich genauso wenig die Freude vorwegnehmen, wie ich sie mir selbst nicht vorweggenommen habe und versuche, euch nur meine Eindrücke zu vermitteln, ohne viel von der Handlung preiszugeben. Die Geschichte spielt sich größtenteils auf der Insel der Familie Sinclair ab und gliedert sich in mehrere aufeinanderfolgende Sommer, benannt nach "Summer Thirteen", "Summer Fourteen" und so fort. Jeder Sommer steht für das Alter der Hauptprotagonistin Kadence, die ihre Zeit im Sommer auf dieser Insel verbringt. Deswegen vermutet man hier zunächst eine ungetrübte Sommerzeit, doch schon der Titel macht deutlich, dass die Geschichte nicht nur an der Oberfläche vor sich hin plätschert, sondern auch erschreckend in die Tiefe geht. Es ist, als ob der Roman selbst versucht, dem Leser eine fröhliche Stimmung vorzugaukeln, die aber schon allein durch den Titel komplett ausgehebelt wird. Diese Erfahrung machte auch ich, als ich immer tiefer in die Geschichte eintauchte. Cady durchlebt in diesem Buch ein wahres Wechselbad der Gefühle, wandert vom schlimmsten Zustand in höchstes Glück und als Leser wurde auch ich irgendwann davon eingenommen. Doch richtig eingeschlagen hat dieser Roman erst zum Schluss, als die Karten plötzlich schonungslos auf dem Tisch lagen. Ich weiß noch, wie ich dieses Buch für einen Moment aus der Hand legte, tief durchatmete und dann lächeln musste. Lockhart hatte mich als Leser genau dahin geführt, wo sie mich haben wollte, um mich dann, am Ende des Buches mit der ungeschönten Wahrheit zu konfrontieren und damit verwirrt zurückzulassen. Ich dachte mir nur: "Wooow!" und dann: "Nicht schlecht!"




Achtung: Diese Rubrik beinhaltet einige persönliche Erfahrungen und Eindrücke von mir, die nicht explizit zur Rezension gehören. Wenn ihr euch nur einen Überblick über das Buch verschaffen wolltet, könnt ihr auch direkt zur nächsten Rubrik: "Mein persönliches Fazit" springen und dort weiterlesen.

Obwohl "We were liars" mein erstes englisches Buch seit langem war, habe ich es sehr flüssig und voller begieriger Vorfreude in wenigen Tagen verschlungen. Dies lässt sich vermutlich nicht zuletzt auf den angenehmen Schreibstil der Autorin zurückführen, der für emotionale und feinfühlige Romane zwar weniger geeignet ist, hier jedoch seine ganze Wirkung gezielt entfalten konnte. Denn auch wenn das Buch keine rührselige Liebesgeschichte ist, so ist es dafür sehr ausdrucksvoll und erschütternd. Ich verliebte mich vom ersten Moment an in die Insel, die Personen und die Umstände, die sie zueinander hin und voneinander weg führten. Nur mit Cadence blieb ich bis zum Schluss auf Abstand, weil ich schon nach wenigen Seiten ahnte, dass sie die Geschichte mit vielen persönlichen Färbungen darstellen wird. Sie ist zwar an sich eine starke Person, doch hinter der harten Schale steckt ein weicher Kern, der dann deutlich wird, wenn sie das Geschehen aus einer sehr übertriebenen Sicht darstellt. Dafür mochte ich die anderen Personen umso mehr, weil sie alle unverwechselbare Kanten hatten und sich dennoch perfekt in die Geschichte einfügten (Meine persönlicher Favoriten sind Gat und ... Johnny. Johnny ist vermutlich die normalste Person im ganzen Buch).

Wenn ihr euch ebenfalls for diesen Roman interessiert, kann ich euch wärmstens empfehlen, ihn auf Englisch zu lesen, vor allem wenn ihr ein grundlegendes Interesse für andere Sprachen mitbringt. Mit einem soliden B1-Niveau und einem Wörterbuch zum Hin-und-Wieder-Nachschlagen. Für alle anderen gibt es auch die Möglichkeit, bis zum Spätsommer zu warten, dann erscheint "We were liars" unter dem deutschen Titel "Solange wir lügen" auch auf Deutsch. Eigentlich bin ich mit deutschen Titel-Übersetzungen eher auf Kriegsfuß, aber dieser Titel konnte mich doch etwas versöhnlich stimmen.




"We were liars" ist ein ungewöhnlicher und einzigartiger Roman, der mich von der ersten bis zur letzten Seite überzeugen wurde. Zu keiner Sekunde setzte bei mir ein Gefühl der Langeweile ein,  so undurchschaubar war dieses Buch und auch der Überraschungseffekt zum Schluss machte seinem Namen alle Ehre. Es ist ein Roman, der sich den Erwartungen des Lesers entzieht und ich weiß auch immer noch nicht genau, wo ich ihn in mein Bücherregal einordnen soll (Ich sortiere meine Bücher nach Genres und innerhalb der Genres nach Farben). Fakt ist jedoch, dass Lockhart mit diesem Roman eine wirklich fesselnde und nachdenkliche Geschichte gelungen ist, die mich auch Tage nach dem Lesen noch beschäftigt hat.
Deswegen gebe ich "We were liars" verdiente fünf von fünf Sternen.

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