Freitag, 30. Januar 2015

[Rezension] Sebastian Fitzek: "Passagier 23"

Titel: "Passagier 23"
Autor: Sebastian Fitzek
Verlag: Droemer HC
Erscheinungsjahr: 2014
Preis: 19,99€ (gebundene Ausgabe)
Seiten: 432

Inhalt:

Früher war Martin Schwartz ein erfahrener Polzeipsychologe, der die Beamten in Berlin bei besonders schwierigen Fällen mit seinen fundierten Diagnosen unterstützte. Seit er jedoch vor fünf Jahren seine Frau und seinen Sohn verloren hat, die während eines Urlaubs auf dem luxuriösen Kreuzfahrtschiff „Sultan of the Seas“ unter mysteriösen Umständen in den eisigen Atlantik stürzten, ist Martin nur noch ein Schatten seiner selbst. Den Schmerz über den für ihn unbegreiflichen und tragischen Verlust betäubt er nun mit Himmelfahrtskommandos als verdeckter Ermittler und dem Schwur, niemals wieder einen Fuß auf ein Kreuzfahrtschiff zu setzen.
Doch dann macht ihm eine seltsame ältere Dame einen Strich durch die Rechnung: Gerlinde Dobkowitz, Dauerschiffsreisende auf ebenjenem Sultan und selbsternannte Thriller-Autorin kontaktiert Martin, um ihn darüber zu informieren, dass sie Hinweise gefunden hätte, was damals wirklich mit seiner Familie geschehen ist. So sei vor einiger Zeit ein verschwunden geglaubtes Mädchen an Bord der Sultan wieder aufgetaucht - mit dem Teddy von Martins Sohns im Arm.



Der erste Satz:
Menschliches Blut:
  • 44 Prozent Hämatokrit.
  • 55 Prozent Plasma.
  • Und eine hundertprozentige Sauerei, wenn es aus einer punktierten Ader unkontrolliert durch den Raum spritzt.


Meine Meinung:

Wie ich zu diesem Buch kam, ist relativ schnell erzählt: Ich hatte wenige Tage zuvor meinen allerersten Fitzek-Roman „Der Nachtwandler“ beendet (Die Rezension dazu findet ihr hier) und war mehr oder weniger hingerissen von  der ungewöhnlichen Geschichte des armen Leons und fasziniert von den interessanten Gruselmomenten, die mir dieses Buch beschert hatte. Deswegen musste ganz schnell neue Lektüre von Fitzek her und meine Wahl fiel auf den etwas üppiger ausfallenden „Passagier 23“. That's it.
Doch gerade weil mir „Der Nachtwandler“ so gut gefallen hatte, war ich gegenüber diesem neuen Roman etwas skeptisch und befürchtete, von zu hohen Erwartungen verblendet zu werden. Aber dazu sollte es nicht kommen: Sämtliche Zweifel verflüchtigten sich schon nach wenigen Kapiteln in dünne Nebelschwaden, wurden nach der Hälfte des Buches immer blasser und waren zum Ende hin wie weggeblasen. 
Was war geschehen?
Zunächst einmal zieht einen die Handlung komplett in ihren Bann, vor allem, wenn man als Leser schonmal ein generelles Interesse für Schiffe und Kreuzfahrten mitbringt. Und keine Sorge, liebe Landratten: Fitzek legt den Fokus weniger auf eine Beschreibung der täglichen Fünf-Gänge-Menüs, Pool-Landschaften und Wellness-Oasen solcher Luxusschiffe, sondern beschreibt dafür umso ausführlicher, was sich hinter den Augen der Unkundigen eigentlich abspielt. Man merkt also, dass der Autor für seine Recherche mehr getan hat als sich nur die Informationsbrochüren für Kreuzfahrten durchzulesen. Einige der Aussagen basieren zudem auf wahren Ereignissen oder beschreiben die Funktionsweise der so genannte „schwimmenden Kleinstädte“ so genau, dass ich die einzelnen Decks teilweise bildlich vor Augen hatte. Manche Kapitel enthalten außerdem Informationen über Bordzeit, Geschwindigkeit und den momentanen Seegang und verstärken somit diesen Eindruck noch.
Und dann ist da Martin Schwartz, ein ungewöhnlicher Charakter, der sich nach Gerlindes Anruf nun doch an Bord der Sultan begeben hat und den der Leser bis zum Schluss nicht so richtig zu durchschauen vermag. Er erweckt den Eindruck eines typischen New-Yorker Polizisten, dem das Leben einige Male den Stinkefinger gezeigt hat, ist in seiner Art aber weniger rau, sondern eher genervt-sarkastisch, bleibt aber trotz alledem meistens freundlich.
Die aber wohl schillerndste Persönlichkeit in diesem Roman ist jedoch ohne Zweifel die krasse Oma Gerlinde. Was habe ich bei den Aussagen dieser schrulligen Möchtegerndetektivin Tränen gelacht! Am Anfang dachte ich noch, sie entspricht ganz der typischen reichen Witwe, die sich ihre Freizeit auf dem Kahn (im wörtlichen Sinne) totschlagen will, aber weit gefehlt - Gerlindes verrückte Ideen über verschwundene und wiederaufgetauchte Passagiere scheinen sich immerhin zu bewahrheiten, als ein verschwunden geglaubtes Mädchen wie aus dem Nichts an Bord der Sultan wieder auftaucht. Genau der richtige Stoff für ihren Thrillerroman (mit autobiografischen Elementen), von dem ich euch eine kurze Leseprobe nicht vorenthalten möchte (kein Spoiler):
„Gerlinde war wie immer erstaunt ob der Größe seines edlen Gemächts, das sich vor ihr reckte, doch jetzt war nicht die Zeit, um sich den Wonnen hinzugeben, die sein edles Zepter verhieß. Nicht, bevor sie nicht wusste, ob der Mann, der ihr die wundervollsten Orgasmen ihres dreiundsiebzigjährigen Lebens schenkte …“
Kurzum: Mit der lieben Gerlinde hat sich Fitzek meiner Meinung nach selbst übertroffen. Genau so eine Figur vermisse ich in vielen Romanen und freue mich umso mehr, wenn sie nicht nur einmal, sondern auch häufiger zu Wort kommt.
Wo wir übrigens gerade bei Klischees sind ... - am Anfang dachte ich noch, dass Fitzek sich aus der Kiste aller verfügbaren Möglichkeiten recht großzügig bedient hat: Der Kapitän ist natürlich arrogant, die gruftige Schülerin natürlich selbstmordgefährdet, das ausländische Zimmermädchen drückt sich gemäß den Standardsätzen à la „Ich nix verstehen“ aus, usw. Doch entgegen meiner Erwartungen machen die einzelnen Charaktere während der Geschichte eine interessante Entwicklung durch und spielen letztlich genau mit jenen Klischees, die ihnen eigentlich auf den ersten Blick geradezu auf der Stirn geschrieben stehen. Ich erlebte eine Überraschung nach der nächsten und genau dadurch kam die Handlung immer mehr in Schwung.
Denn anders als erwartet, präsentiert Fitzek die Auflösung der offenen Fragen allerdings nicht als ganzheitliches Menü, sondern immerzu häppchenweise. Martin Schwartz erweist sich als gerissener und sehr gut kombinierender Ermittler, der durch seine unverwechselbare Art alle Unklarheiten allmählich aufdeckt, so dass ich als Leser auch immer mitraten konnte.
Dennoch erfuhr ich am Ende nicht nur, was es mit dem schweigsamen, wiederaufgetauchten Mädchen auf sich hat, sondern noch viel mehr. Kaum dachte ich mir nach einer Auflösung: „Okay, aber was ist denn mit …?“ wurde prompt auch diese Frage beantwortet, entweder in den folgenden Kapiteln oder noch viiiiel später (wo genau, müsst ihr schon selbst herausfinden, aber ihr werdet überrascht sein ^^).



Trivia:

Wie auch schon in meinem letzten Roman von Fitzek war ich auch dieses Mal sehr begeistert von seinem Nachwort am Ende der Geschichte. Selbstverständlich muss er sich dafür aller möglichen Schiffs-Metaphern bedienen, die unsere Kultur so hergibt und kommentiert dieses Vorgehen mit einem ironischen Zwinkern, das auch dieses Mal kein bisschen arrogant rüberkommt, sondern einfach nur ehrlich ist.
Des Weiteren konnte er mir mit diesem Roman beweisen, dass er nicht nur im Nachwort die richtigen Worte findet. Und wie sollte ich mir auch das Grinsen verkneifen, wenn die Blase einer Person "so voll wie die U-Bahn nach einem Hertha-Spiel" ist oder wenn jemand nach einer halben Stunde Mittagsschlaf Mundgully hat "wie ein albanisches Klärwerk"? Das passt einfach zu gut.
Und: Ich habe in diesem Nachwort erfahren, dass Fitzek vom Sternzeichen auch eine eher wasserscheue Waage ist wie ich, die das Wasser lieber anschaut, als sich stundenlang darin zu vergnügen. Danke für diese treffende Beschreibung, das spricht mir aus der Seele! :D



Fazit:

"Passagier 23" hat es geschafft, meine Erwartungen nicht nur zu erfüllen, sondern diese auch noch zu übertreffen. Für mich war es wirklich ein richtig schöner Thriller, der viele liebevolle Details enthielt und wodurch letztlich vermutlich auch Leute, die sich weniger für das Thema "Kreuzfahrt" interessieren, auf ihre Kosten kommen. 
Ich bin nun schon am Überlegen, ob ich mir auch die schöne gedruckte Ausgabe dieses Buch zulegen soll ...
Ich gebe diesem Roman verdienterweise somit die vollen fünf Sterne.

★ ★ ★ ★ ★



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