Freitag, 23. Januar 2015

[Rezension] Simon Beckett: "Der Hof"

Titel: "Der Hof"
Autor: Simon Beckett
Verlag: Wunderlich Verlag
Erscheinungsjahr: 2014
Preis: 19,95€ (gebundene Ausgabe)
Seiten: 464



Inhalt:

Seine Flucht vor der Polizei führt den Engländer Sean nach Südfrankreich, auf einen abgelegenen und ebenso verwilderten Hof, wo er die junge Frau Mathilde kennen lernt und um ein Glas Wasser bittet. Wieder zurück auf der Straße fällt ihm zu seinem Entsetzen ein herannehmendes Polizeiauto auf, er riskiert einen gewagten Sprung ins Unterholz des Waldes - und landet prompt mit dem Fuß in einer verrosteten Eisenfalle. Diese hat sich dermaßen tief in das Fleisch seines Beins gebohrt, dass Sean sich nicht aus eigener Kraft befreien kann. In einem qualvollen und fast schon grausam ironischen Martyrium wechselt sein Zustand zwischen panischen Hilferufen und kurzen Ohnmachtsanfällen und endet schließlich in erlösender Dunkelheit.
Doch Sean hat Glück im Unglück: Arnaud, der eigenbrötlerische und kauzige Besitzer des Hofes (und zudem der Aufsteller dieser zahlreichen Fallen), findet ihn bei seinen regelmäßigen Rundgängen auf dem Gelände und gestattet seiner Tochter Mathilde, den Fremden in der alten Scheune gesund zu pflegen. Diese kümmert sich aufopferungsvoll um Sean, der sich trotz der schlimmen Verletzungen in seinem Fuß allmählich erholt. Kaum hat er wieder die ersten selbstständigen Schritte getan, macht Arnaud ihm klar, dass er für seine Versorgung auch eine Gegenleistung erbringen und für den Bauern arbeiten soll. Seine Aufgabe: Das abrissreife Bauernhaus neu zu mauern. Sean willigt ein, sieht er darin doch eine willkommene Gelegenheit, für eine Weile unterzutauchen und Gras über seine Vergangenheit wachsen zu lassen. Den Hof umgibt jedoch ein düsteres Geheimnis, über das sich nicht nur der skrupellose Arnaud, sondern auch die liebevolle Mathilde und ihre jüngere, aber unberechenbare Schwester Gretchen in tiefes Schweigen hüllen.



Meine Meinung:

Zugegeben, es war nicht schwer, bei diesem Plot die Parallele zu Stephen King’s „Misery“ zu erkennen: Ein schwer verletzter Mann wird von einer jungen Frau aufgegriffen und in aller Abgeschiedenheit gesund gepflegt, bis sie schließlich in rasender Wut über ihn herfällt und … - Oh, aber halt, nicht ganz. Denn obwohl ich mir ziemlich sicher bin, dass Simon Beckett die Geschichte von „Misery“ zumindest kennt (wenn sie nicht sogar die Vorlage für seinen Roman geliefert hat), so präsentiert er dennoch mit „Der Hof“ seine eigenen Ideen zu diesem Plot, die aber in eine andere Richtung verlaufen und vor allem die Hintergründe der einzelnen Personen genauer beleuchten. Vielleicht war das der Grund, warum ich mir dieses Buch gekauft habe. Mir gefiel dieses Thema ebenso wie die nette Kleinigkeit, dass die Geschichte in Frankreich spielt und so landete „Der Hof“ in meinem Bücherregal, wo ich ihn innerhalb weniger Tage gelesen habe.
Die Geschichte liest sich wirklich sehr schnell; einerseits anders, als ich es bei der Dicke des Romans vermutet hätte, aber andererseits genau nach dem typischen, flüssigen Beckett-Stil, mit dem ich schon durch „Die Chemie des Todes“ vertraut war. Der Ich-Perspektive bleibt Beckett auch in diesem Roman treu (diesmal jedoch nicht aus der Sicht von David Hunter) und ändert nur die Zeitform in das Präsens. Da ich aber schon viele Bücher in dieser Form gelesen habe, hat mich das nicht sonderlich gestört.
Im Grunde besteht der Roman aus zwei nebeneinander ablaufenden Erzählungen: Da ist zum Einen die Gegenwart auf dem Hof mit seinen schrulligen Bewohnern und zum Anderen die Vergangenheit in London, vor der Sean zu fliehen versucht, die ihn aber immer wieder einholt. Dadurch erfährt der Leser nach und nach auf eine sehr anschauliche Weise, warum Sean denn überhaupt auf der Flucht ist. Ich muss aber zugeben, dass ich diese Rückblenden nach einer Weile nicht mehr so interessant fand, weil ich vielmehr wissen wollte, wie es mit ihm auf dem Hof weitergeht. Leider gab es keinen Zusammenhang zwischen Seans Vergangenheit und dem Geheimnis des seltsamen Hofes, was durchaus einen interessanten Überraschungseffekt ergeben hätte.
Doch bis dahin war es ohnehin ein langer Weg, denn tatsächlich passierte auf dem Hof nicht viel. Man verfolgte zunächst die stetige Genesung von Sean und lernte seinen neuen Tagesablauf kennen. Auch Mathilde und Gretchen tauchten nach einer Weile häufiger auf; Arnaud hingegen glänzte eher durch Abwesenheit und tyrannische Ausbrüche. Aber das war’s eigentlich auch schon.
Ich fühlte mich während des Lesens ständig auf die Folter gespannt, ein bisschen wie in Paranormal Activity, wo man ständig darauf wartet, dass irgendetwas passiert. Ich las und las und las … bis ich irgendwann fast am Ende der Geschichte angekommen und immer noch nichts Spannendes passiert war. Keine Frage, Beckett versteht sich wirklich auf bildliche Beschreibungen der Orte und Personen sowie des Alltagslebens (stellenweise hatte ich auch Hunger, wenn Mathilde Sean das Essen brachte), doch welches Genre hatte das Buch nochmal? Krimi und Thriller? Ähm, nein, eher nicht. Das einzige Thrillerhafte waren die eigentümlichen Schweine, die Arnaud auf seiner Farm hält und dass Mathildes Schwester Gretchen ständig zwischen lasziven Wimpernklimpern und unerwarteten Wutattacken hin- und herpendelte, aber das reicht nicht, um einen Roman zu füllen. Schon gar nicht einen Roman mit mehr als 450 Seiten.
Erst zum Ende hin wurde es schließlich etwas spannender, als Sean in Begriff war, das im Klappentext angepriesene Geheimnis aufzulösen. Nachdem ich jedoch die Personen und deren Handeln auf dem Hof knapp 400 Seiten lang mitverfolgt und meine eigenen Schlüsse daraus gezogen hatte, war die Auflösung dieses Geheimnisses leider keine Überraschung mehr. Obwohl die ganzen Gepflogenheiten des Alltags oft von dem eigentlichen Geheimnis abzulenken versuchten, ließ die Personenkonstellation letztlich keinen anderen Schluss zu, als den, der schließlich auch des Rätsels Lösung war.



Trivia:

„Der Hof“ war mein zweites Buch von Simon Beckett, weil ich beschlossen hatte, ihm nach „Die Chemie des Todes“ noch eine Chance zu geben. Und obwohl mich der Roman einige Tage gefesselt hatte, muss ich im Nachhinein sagen, dass ich bessere Krimis gewohnt bin. Simon Beckett ist zweifellos ein guter Autor, der jedoch dem ständigen Hype, der um ihn gemacht wird, nicht gerecht wird. Auch „Die Chemie des Todes“ war ein netter Unterhaltungsroman, von dem man jedoch einfach nicht die Tiefe und jene dunklen Abgründe erwarten kann, die Stephen King so perfekt beherrscht. Vielleicht hinkt auch einfach mein Vergleich mit dem Meister des Horrors, aber ich bin einfach davon überzeugt, dass King nicht der einzige Autor ist, der dieses Genre so gut beherrscht.

Nichtsdestotrotz möchte ich an dieser Stelle erwähnen, dass Simon Beckett - ungeachtet dessen, dass dieser Roman von ihm nicht zu seinen besten Werken gehört - als Autor sehr nett und freundlich ist. Ich hatte das Glück, ihn vor zwei Jahren auf der Leipziger Buchmesse zu treffen und obwohl er von der Menge der anwesenden Fans offensichtlich etwas gestresst war, blieb er gelassen wie eine griechische Statue. Allein deswegen hat es sich für mich wirklich gelohnt, ihn mal live zu sehen :)





Fazit:

Für mich ist „Der Hof“ leider nicht mehr als ein stellenweise interessanter Unterhaltungsroman, der zwar hin und wieder in die Richtung Thriller verweist, diese jedoch erst zum Ende kurz anschneidet. Und mir genügt es leider nicht, eine ellenlange Vorgeschichte schließlich nur mit einem sehr vorhersehbaren Ende abzuspeisen. Da muss Beckett zukünftig wohl besser abwägen: Entweder er schreibt wieder einen sehr langen Roman, in dessen ersten zwei Dritteln das Umfallen eines Mehlsacks wohl das spannendste Ereignis bleibt und haut mich dafür am Ende mit einem ehrfürchtigem Keuchen aus dem Sessel oder er spickt seine Handlung von Anfang an mit ungewöhnlichen oder sogar gruseligen Details, die mich nachts über deren Ursprünge nachgrübeln lassen. Dann könnte er sich ein Ende à la „Der Hof“ auch erlauben.

Ich gebe diesem Roman deswegen drei von fünf Sternen.

★ ★ ★ ☆ ☆


Bis zum nächsten Mal,
eure Bianca.

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