Donnerstag, 18. Juni 2015

[Rezension] Hilal Sezgin: "Artgerecht ist nur die Freiheit"

Hallo liebe Leseratten,

ich habe beschlossen, dass ich mal ein bisschen Abwechslung in mein Blog bringen möchte. Deswegen stelle ich euch heute nicht nur eines meiner Lieblingsbücher aus dem Regal vor, sondern ihr habt auch die Chance, dieses zu gewinnen! Es handelt sich diesmal um ein Sachbuch, dass ich beim Stöbern entdeckt, nach dem Kauf innerhalb weniger Tage verschlungen habe und dessen eindringliche Botschaft mich seitdem nicht mehr losgelassen hat.
Aber lest einfach selbst ...

Titel: "Artgerecht ist nur die Freiheit. Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen"
Autorin: Hilal Sezgin
Verlag: C.H. Beck Verlag
Erscheinungsjahr: 2014
Format // Preis: Taschenbuch (16,99€) // Kindle-Edition (13,99€)
Seiten: 301



Tierquälerei ist in unserem Alltag allgegenwärtig. Doch wenn wir uns einmal die Zeit nehmen und mit klarem Blick die Augen öffnen für all das Leid, das Tiere in unserem direkten und indirekten Umfeld tagtäglich ertragen müssen, ist dies schwer erträglich - so schwer, dass wir es verdrängen, uns weigern, darüber nachzudenken und es nicht mehr hinterfragen. Wir lassen es stillschweigend zu, dass unzählige Tiere in Versuchslaboren gequält und in Mastställen und Schlachthöfen angeblich "artgerecht" misshandelt werden, weil wir uns ein Leben ohne "tierische Produkte" nicht vorstellen können.
Zweifellos gibt es bereits viele Bücher zu diesem Thema, doch die Autorin Hilal Sezgin legt mit ihrem Buch "Artgerecht ist nur die Freiheit" einen Meilenstein in Bezug auf unseren Umgang und unser Zusammenleben mit Tieren vor: Sie stellt verschiedene (tier-) ethische Positionen einander gegenüber, wägt Lösungsmöglichkeiten ab und reagiert auf eine Vielzahl an Argumenten, die ihr immer wieder begegnen und die das Quälen, Töten, Einsperren und Essen von Tieren angeblich rechtfertigen sollen. Auf dieser Grundlage entwirft sie eine faszinierende und engagierte Tierethik, deren Ziel es ist, Tiere als Individuen mit eigenen Rechten zu betrachten und unsere Erde gerecht mit ihnen zu teilen.




Hilal Sezgins (Sach-) Buch ist ein Buch ganz nach meinem Geschmack, und das aus mehreren Gründen. Es fängt schon bei der Gestaltung an, die nicht nur schön und ansprechend, sondern auch sehr persönlich ist, denn es sind die Tiere der Autorin selbst dort abgebildet, die seit einiger Zeit auf dem Land lebt und dort einen kleinen Bauernhof betreibt. Im Klappentext stellt sie auch einige ihrer Schützlinge vor und man merkt sofort, mit wie viel Liebe und Hingabe die Autorin ihrer neugewonnen Tätigkeit als Hofbesitzerin nachgeht. Dadurch vermittelte sie mir einen interessanten ersten Eindruck von ihr und ihren Ambitionen.

Ein weiterer Pluspunkt ist die logische und nachvollziehbare Gliederung des Buches. Sezgin beginnt zunächst mit einer kleinen Einleitung, in der sie ihre Ziele für den Leser deutlich macht. Ich hatte von Anfang an das Gefühl, die Gedanken und Ideen einer ruhigen, intelligenten und sehr charismatischen Frau zu lesen, die genau zu wissen schien, unter welchen Voraussetzungen ich ihr Buch lesen möchte. Ich kann an dieser Stelle noch ergänzen, dass Hilal Sezgin dieser Charakterisierung auch entspricht: Letztes Jahr habe ich sie auf der Buchmesse kurz getroffen, um mir mein Buch von ihr signieren zu lassen und sie war sogar noch viel netter, als ich gedacht hatte.


Kommen wir aber zurück zum Buch: Nach der Einleitung folgen mehrere Kapitel, in denen die Autorin all die Fragen aufwirft, die einem bei dieser Thematik im Kopf herumschwirren:
Was bedeutet eigentlich "Ethik" im "tierischen" Kontext? Und dürfen wir wirklich Tiere quälen, töten und nutzen?
Die einzelnen Kapitel gliedern sich nochmals in Unterkapitel, wo die Autorin in logischen Einzelschritten und unter Bezug auf aktuelle Studien und Forschungsergebnisse diese Fragen beantwortet. Mir hat ihr Schreibstil richtig gut gefallen, ihre Ausführungen sind nachvollziehbar und sie nutzt viele gute Vergleiche, um die Situation der Tiere verständlich zu machen. Außerdem wendet sie selbst viele Argumente an, die ihr bisher dazu begegnet sind nimmt dadurch jeglichen Zweiflern den Wind aus den Segeln.
Den Abschluss bildet schließlich das fünfte Kapitel, in dem Sezgin die Frage stellt, wie wir denn eigentlich mit Tieren leben können.  Dies ist einer der interessantesten Punkte ihres Werkes und zeigt, dass die Autorin auch gute Vorschläge und Anweisungen gibt für ein besseres Zusammenleben mit Tieren gibt. Sie bleibt die ganze Zeit sachlich, aber dennoch eindeutig und kompromisslos. So führt sie beispielsweise an, dass die Umstellung auf eine vegetarische Lebensweise ein guter Anfang ist, der jedoch auch mit einer veganen Lebensweise verbunden ist. Denn ob eine Kuh nun getötet wird, um das nötige Fleisch zu gewinnen oder ob sie jahrelang unter erbärmlichsten Bedingungen gehalten, von ihren Kälbern getrennt und zur Dauermilchproduktion gezwungen wird, macht letztlich keinen großen Unterschied.




"Artgerecht ist nur die Freiheit" habe ich vor einiger Zeit zufällig beim Stöbern in der Buchhandlung entdeckt. Ich weiß noch, dass ich eigentlich gar nicht nach so einem Buch suchte, sondern eher nach einer seichten Unterhaltungslektüre - einem Krimi oder Thriller vielleicht - aber letztlich war es genau dieses Buch, das meine Aufmerksamkeit und mein Interesse weckte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch nie von Hilal Sezgin gehört, ganz zu schweigen davon, dass ich nicht wusste, welche Art von Büchern sie überhaupt schrieb. Aber als ich dieses Buch sah, den Klappentext las und die ersten Seiten überflog, fühlte ich mich direkt angesprochen und wusste, dass ich es einfach lesen musste.


Eines muss ich noch zugeben: Ich habe ein sehr indifferentes Verhältnis zu Sachbüchern jeglicher Art. Soll heißen, ich lese sie zwar unglaublich gerne, aber ich brauche dafür meine Zeit. Es kommt nicht selten vor, dass ich ein Sachbuch begeistert anfange, dann ein halbes Jahr liegen lasse und nur hin und wieder weiterlese. Mir fehlt oft einfach die Konzentration oder die Zeit, mich darauf einzulassen.
Dieses Buch bildet hier jedoch eine für mich sehr ungewöhnliche Ausnahme. Ich habe direkt nach dem Kauf mit dem Lesen begonnen und schon war es passiert: Ich konnte einfach nicht mehr aufhören. Ich nahm mir zwar Zeit für dieses Buch, las es aber dennoch sehr schnell, markierte im Text, machte mir Randnotizen und dachte auch nach dem Lesen darüber nach, was ich gerade erfahren hatte. Und als ich es schließlich beendet hatte, wusste ich, dass ich auch die Botschaft dieses Buch für mich selbst angenommen und akzeptiert hatte: Ich wollte nicht länger zu jenen Menschen gehören, die ihre Augen verschließen, während Tiere getötet, gequält und unter erbärmlichsten Bedingungen gehalten werden. Doch zum ersten Mal hatte ich wirklich das Gefühl, dies deswegen zu tun, weil ich selbst von der Richtigkeit der Sache überzeugt war. Das halte ich persönlich für einen wesentlichen Unterschied, wenn man langfristig etwas verändern möchte: Man sollte es nicht tun, weil man von anderen dafür angeprangert wird, sondern weil man selbst weiß, dass es einfach grundlegend falsch ist und gegen jegliches ethisches Verständnis verstößt, Tiere derart zu misshandeln. Nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünsche ich, dass er so etwas auch nur einen Tag lang ertragen muss. Und dennoch nehmen wir es hin, dass unzählige Tiere jeden Tag furchtbar gequält werden - die Lebewesen auf diesem Planeten, die wir manchmal mehr lieben als unsere  eigenen Mitmenschen.
Ich kann nicht alle Gründe aufzählen, die auch mich letztlich dazu bewogen haben, einige meiner Gewohnheiten radikal zu ändern, denn diese Mammutaufgabe hat Hilal Sezgin bereits meisterhaft übernommen. Meine Rezension stellt also nur einen minimalen Abriss dessen dar, was dieses Buch vermittelt. Und wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen und einen Blick über den Tellerrand zu werfen (und zwar im wahrsten Sinne des Wortes), dann kommt man an diesem Buch gar nicht vorbei.

Übrigens: Nicht ohne Grund hat auch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Sezgins Buch inzwischen in ihren Katalog aufgenommen. 




Hilal Sezgin hat mit "Artgerecht ist nur die Freiheit" ein einzigartiges, motivierendes, mutiges und noch immer aktuelles Buch vorgelegt, das den Leser genau da abholt, wo er momentan steht: Innerlich hin- und hergerissen zwischen seinen ethischen Grundsätzen und all den sinnlosen  Grausamkeiten an unschuldigen Tieren, die diesem Weltbild eigentlich komplett widersprechen. Die Autorin macht keine anklagenden Vorwürfe, sondern sie geht offen auf den Leser zu, macht ihm jedoch auch eindringlich deutlich, dass ein Umdenken hinsichtlich einer Tierethik keine frei wählbare Option, sondern unsere Pflicht ist, die wir schon viel zu lange vernachlässigt haben.
Tiere selbst können keine Verantwortung für sich übernehmen, sie können sich nicht schützen - diese Aufgabe fällt allein uns Menschen zu.

Ich gebe diesem Buch ohne Einschränkungen fünf Sterne.

★ ★ ★ ★ ★



Hilal Sezgin, geboren 1970, studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre lang in der Feuilletonredaktion der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide, wo sie einen kleinen Gnadenhof mit Schafen und Hühnern betreut. Sie schreibt u.a. für Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung sowie als Kolumnistin für die Meinungsseite der taz, das Feuilleton der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung. Ihre publizistischen Themen sind hauptsächlich Tierethik und Tierrechte, Feminismus, Philosophie und Islam, Islamfeindlichkeit und Multikulti.
(Quelle: Klappentext des Buches)

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