Montag, 19. Januar 2015

[Rezension] Jonathan Safran Foer: "Extrem laut und unglaublich nah"

Titel: "Extrem laut und unglaublich nah"
Autor: Jonathan Safran Foer
Verlag: Fischer Verlag
Erscheinungsjahr: 2005
Preis: 9,95€ (Taschenbuch) / 22,99€ (gebundene Ausgabe)
Seiten: 480


Inhalt:

Der neunjährige Oskar Schell besitzt viele wunderbare und einzigartige Talente: Er ist unter anderem Erfinder, Schmuckdesigner, Amateur-Entomologe, Frankophiler, Amateur-Archäologe, Computer-Spezialist und begeisterter Tamburin-Spieler. Mit diesen Eigenschaften - die auf seiner Visitenkarte vollständig aufgeführt sind - und durch seine unverwechselbar neunmalkluge Art zieht er oft die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen auf sich und erobert ihre Herzen.
Doch eines kann Oskar nicht: Mit der Trauer über den plötzlichen und gewaltsamen Tod seines Vaters umgehen, der am 11. September 2001 beim Attentat auf das World Trade Center starb. Wie könnte Oskar auch, versteht er doch ein Jahr später immer noch nicht, warum sich Thomas Schell gerade an diesem Tag dort aufhielt und nun zu den zahlreichen Opfern gehört, die nicht geborgen werden konnten. Oskar musste sich von einem leeren Sarg verabschieden, eine Verkörperung für die große Wunde, die dieser schwere Verlust in seinem Leben hinterlassen hat. Deswegen flüchtet er sich oft in traurige Gedanken über mögliche Erfindungen, die das Leben seines Vaters vielleicht hätten retten können und entfremdet sich immer mehr von seiner Mutter, der es scheinbar ohne große Probleme gelungen ist, wieder ein normales Leben zu führen.
Eines Tages jedoch findet Oskar überraschend etwas im Nachlass seines Vaters, was ihm wieder neue Hoffnung schöpfen lässt und seinem Leben eine Richtung vorgibt: Er hält einen mysteriösen Schlüssel in der Hand, den er nie zuvor gesehen hat und der auch in keines der ihm bekannten Schlösser passt. Deshalb kommt er zu der Schlussfolgerung, dass ihm sein Vater auch nach dem Tod eines seiner geliebten Rätsel hinterlassen hat, mit dem er seinen Sohn früher tagelang beschäftigen konnte. Und so begibt sich Oskar mit den wenigen Hinweisen, die er hat, auf die Suche nach Antworten, kreuz und quer durch New York und lernt dabei eine Vielzahl an skurrilen und nahezu märchenhaften Persönlichkeiten kennen, von denen er hofft, dass sie ihm mehr über seinen Vater und dessen unerwarteten Tod erzählen können.



Meine Meinung:

Ich wusste am Anfang noch nicht, was ich von diesem Roman erwarten konnte. Gekauft hatte ich ihn aufgrund der sehr guten Empfehlung in einer Zeitschrift und der vielen positiven Kritiken. Doch als ich es schließlich vor einer längeren Tagesreise aufschlug, erhoffte ich mir einfach nur eine nette und unterhaltsame Reiselektüre, um mir die Zeit zu verkürzen. Dass ich damit den wahren Wert dieses Buches um eines Vielfaches unterschätzt hatte, wurde mir am Ende der Reise klar. Und knapp 230 Seiten später.
Schon nach wenigen Kapiteln war ich komplett in diese ungewöhnliche, fantasievolle, und zugleich lustige und traurige Geschichte eingetaucht, der ich mich kaum entziehen konnte. Fast jede freie Minute las ich in diesem Buch und je näher das Ende rückte, umso mehr wünschte ich mir, dass ich nicht allzu schnell dort ankam. Ich habe schon sehr lange kein Buch mehr gelesen, dass so viel interessanten Stoff zum Nachdenken gibt und sich gleichzeitig so flüssig lesen lässt.
Trotzdem gebe ich zu, dass ich mit Oskar nicht sofort richtig warmgeworden bin. Er wirkte so unnahbar für einen neunjährigen Jungen, der sich ständig ungewöhnliche Sachen ausdenkt, seiner Mutter in Gedanken schlimme Vorwürfe macht und seltsame Fremdwörter wie „gugolplex“ zusammen mit jugendlich wirkenden Wörtern wie „krass“ in seine Aussagen einstreut. Doch als ich ihn immer besser kennen lernte, konnte ich sein aus der Ich-Perspektive beschriebenes Verhalten allmählich auch nachvollziehen und stellenweise sogar mit ihm leiden, wenn er sich in seinem Schmerz und seiner Trauer allein gelassen fühlte. Dabei geht es in diesem Roman nicht nur um Oskar, sondern auch um seine Familie, deren Geschichte in unterschiedlichen Erzählsprüngen wiedergegeben wird, die sich alle durch einen so individuellen Schreibstil unterscheiden, dass ich das Gefühl hatte, die Familie Schell persönlich kennen zu lernen. Interessanterweise hat Oskar nämlich deutsche Wurzeln, die während des zweiten Weltkrieges leider brüchig wurden und auch bei seinen nahen Verwandten tiefe Narben hinterlassen haben.
Wie bereits erwähnt, beinhaltete diese Geschichte eine Vielzahl an ungewöhnlichen und fast schon märchenhaften Elementen, angefangen bei dem magisch anmutenden Schlüssel im Nachlass des Vaters bis hin zu den Menschen, denen Oskar auf seiner Reise begegnet. Deswegen wunderte es mich nach einer Weile auch nicht, dass die Geschichte stellenweise eine abenteuerliche Richtung einschlug, die von Foer jedoch sehr anschaulich vorgestellt und ausgearbeitet wurde. Dazu trugen auch die vielen Bilder und Fotos bei, die immer wieder überraschend in der Geschichte auftauchten und welche sowohl die Handlung verbildlichen, als auch den Leser vor ein neues Rätsel stellen konnten (Einige Bilder schaute ich mir wirklich auch länger an und dachte immer wieder: „Was meint er nur damit …?“).

Eines der vielen Bilder im Roman
Im Gegensatz dazu stellt das Ende des Romans vermutlich eines der realistischsten Elemente dar. Nicht aufgesetzt. Nicht krampfhaft abschließend. Sondern einfach nur ehrlich.



Trivia:

Dieser Roman wurde 2012 mit vielen bekannten Schauspielern auch verfilmt, darunter Tom Hanks und Sandra Bullock als Oskars Eltern. Da er sich sehr gut an der Buchvorlage orientieren soll, kann ich ihn jedem empfehlen, der die Geschichte zwar interessant findet, jedoch vor den knapp 500 Seiten zurückschreckt. Ich muss auch hinzufügen, dass sich bei dem zweiten Roman von Jonathan Safran Foer wirklich die Geister scheiden. Entweder man liebt dieses Buch und damit die wundervolle und berührende Geschichte, die einzigartigen Charaktere und deren Hintergründe oder man trauert eher der Zeit hinterher, die man für das Lesen investiert hat, weil die Geschichte einfach langweilig, schlecht ausgearbeitet oder zu abgehoben war. Ich gehöre zu Ersteren und das nicht unwesentlich aus persönlichen Gründen. Wenn man jedoch der Geschichte eine Chance geben möchte, sollte man sie als das lesen, was sie ist: Ein modernes Märchen, das sich solche außergewöhnlichen Details auch erlauben kann.



Fazit:

Für mich gehört dieses Buch ganz klar zur Weltliteratur, also auch zu jenen Büchern, die sich einen festen Platz in meinem Regal erobert haben - und zwar einen der Logenplätze. Denn es ist wirklich mit Abstand eines der faszinierendsten Bücher, das ich seit längerer Zeit gelesen habe und ich bin sehr froh, dieses Schmuckstück gefunden zu haben. Dafür gibt es von mir die vollen fünf Sterne.

★ ★ ★ ★ ★

2 Kommentare:

  1. Hallo Bianca,

    tolle Rezension. Jetzt freu ich mich noch mehr auf dieses Buch. Ich hab's ja schonmal durchgeblättert und bin gespannt, was mich erwartet und ob es mir genauso gut wie dir gefällt!

    Liebe Grüße

    Sarah:)

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    1. Hallo Sarah,

      dankeschön, es freut mich, dass ich dein Interesse wecken konnte. Es ist wirklich ein ganz außergewöhnliches Buch, du wirst es nicht bereuen ;)

      Liebe Grüße zurück,
      Bianca

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